Im Exil

Tobias mit gelber Rübe

Im Exil

Der Vater hatte ein Ultimatum gesetzt nachdem es wiederholt Ärger wegen heruntergezogenen Tapeten und ausgefransten Teppichecken gegeben hatte. Binnen einer Woche müsse dieses Tier aus dem Haus geschafft sein, sonst würde er sich persönlich der Sache annehmen.

Der Übeltäter, ein putziges Zwergkaninchen mit schwarz-weißer Holländerzeichnung, duckte sich erschrocken. Tobias, so hieß der kleine Kerl, war sich keiner Schuld bewusst. War er doch nur seinen Instinkten gefolgt, Knabbern und Scharren gehört zu den natürlichen Verhaltensweisen der Kaninchen. Jetzt wurde er dafür ins Unrecht gesetzt. Das Mädchen, bei dem er wohnte, schluchzte verzweifelt nachdem der Vater das Zimmer sehr aufgebracht verlassen hatte. Ein paar Wochen zu früh, dachte sie, warum nur kann er es nicht wenigstens noch einige Wochen dulden, der Vater. So kurz vor ihrem Umzug in die eigenen vier Wände schien ihr die Sanktion äußerst ungerecht und grausam. Obwohl sie im Grunde ihres Herzens auch Verständnis für den Vater hatte, der sich über das ruinierte Zimmer ärgerte und der leider in einem Kaninchen nicht das zu sehen vermochte, was ihr offensichtlich war. Ein Lebewesen mit Bedürfnissen und Gefühlen.

War es schon traurig genug dass Tobias seit einigen Monaten alleine leben musste, nachdem sein Mitbewohner Jonas nach langer schwerer Kaninchenlähmung  vom sch
warzen Kaninchen des Todes erlöst worden war. Das Mädchen war nach einer Zeit in der sie schon allein gewohnt hatte, mit zwei Kaninchen vorübergehend zurück ins Elternhaus gezogen. Die Kaninchen waren höchstens geduldet und Stress gab es jeden Tag wegen dem Freilauf. Wenn schon einsam nach dem Verlust von Jonas sollte Tobi doch wenigstens so oft wie möglich aus dem Käfig dürfen. Den Zukauf eines Partnertieres hatte das Mädchen aus Rücksicht auf die Eltern bis nach dem Umzug in ihre eigene Wohnung verschieben wollen.

Am nächsten Tag trug sie Tobias ins Tierheim Dachau und bat um Aufnahme als Pensionstier bis auf weiteres. Sie zerrte einen großen selbstgebauten Holzstall mit sich, 120 x 60 cm. So sperrig und schwer dieser Stall auch war, erfüllte er leider keineswegs die Bedürfnisse eines Kaninchens. Doch eine Alternative gab es dazumal nicht.

Im Tierheim durfte sie ihren Stall auf dem Gang aufstellen und Tobias wurde als Pensionstier einquartiert. 3 Mark für Kost und Logis kostete hier jeder Tag. Von nun an kam das Mädchen jeden Nachmittag nach der Arbeit und jedes Wochenende ins Tierheim, die Hände voller Karotten und Löwenzahn, blieb bis zum Ende der Öffnungszeit und versuchte ihrem Kaninchen zu vermitteln, dass sie es keineswegs im Stich gelassen hatte. Bald schon hatte sie im Tierheim den Spitznamen „Hasenmami“ weg.

Irgendwann bekam Tobias einen Nachbarn neben sich im Gang. In einem handelsüblichen Zimmerkäfig aus Plastik und Draht wohnte ein hübscher roter Zwerg, ein Rex-Kaninchen. Er war als Abgabetier im Tierheim gestrandet und stand zur Vermittlung. Natürlich kümmerte sich das Mädchen auch gleich um diesen mit. Sie brachte ihm ebenso Leckerlis, streichelte und beschäftigte nun auch den Roten. Schon hatte sie ihn ins Herz geschlossen.

Spontan wurde der rote Hase von ihr adoptiert und getauft auf Lukas. Er erhielt den Status Pensionstier und wechselte vom kleinen Zimmerkäfig in den großen Holzstall zu Tobias. Außerhalb aller Regeln vertrugen sich die beiden kastrierten Rammler auf Anhieb und zeigten ihre Zuneigung durch Putzen und Kontaktliegen.

Wochen später wurde die lang ersehnte Wohnung endlich bezugsfertig. 2 Zimmer im Erdgeschoss mit Gärtchen, das Exil war damit aufgehoben.

Tobias und Lukas siedelten nochmals um, lebten fortan bei dem Mädchen in einer Mischhaltung aus großem Stall, freiem Zimmerlauf und überwachtem Freilauf im Gärtchen, Jahre bevor die heutigen Standards der Menschenfrau für Kaninchenhaltung sich entwickelten. Die beiden waren zutraulich und glücklich zusammen. Später gesellte sich ein junger Stallhase zu ihnen, Tim - und der hat seine eigene Geschichte.

Bayern 1989    aufgeschrieben Dezember 2017    Klarah z
Lukas und Tobias Freunde
Tobias und Lukas Putzen
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