Schicksal der Nummer 5068



Schicksal der Nummer 5068

Am 23. Dezember 2004 wurde im Augsburger Tierheim Holzbachstraße ein wildfarbenes Kaninchenweibchen abgegeben. 7 Monate alt, sein Name war „Jessy“, sein besonderes Kennzeichen eine weiße Pfote rechts. Ziemlich herzlos, so eine hastige Abgabe einen Tag vor Weihnachten. Später jedoch sollten sich die Gründe dafür noch herausstellen.

„Jessy“ erhielt die Nummer 5068 und harrte nun in einem Zimmerkäfig ihres Schicksals, genau wie viele ihrer Artgenossen auch.

Weihnachten kam und ging ohne Höhepunkte. Tägliche Besuchszeiten stressten das Tier. Auch am 29. Dezember öffnete das Tierheim wie immer um 13.30 Uhr seine Pforten für die Besucherströme. Diesmal interessierte sich ein 9jähriges Mädchen besonders für „Jessy“. Sie war auf der Suche nach einem Weibchen als Partnerersatz für ein männliches Kaninchen, das am Tag vorher leider Witwer geworden war. Da „Jessy“ von der Größe und vom Alter her gut zu dem Männchen passte und außerdem noch süß aussah, entschlossen sich das Mädchen und seine Eltern, „Jessy“ mitzunehmen.

„Jessy“ wurde nicht gefragt, wurde nur aus dem vertrauten Stall genommen, in einen kleinen Behälter gesteckt und trat eine weite Fahrt durch die Stadt und über zwei Autobahnausfahrten an. Es vibrierte, es dröhnte, es roch fremd, „Jessy“ hatte Angst und war sehr gestresst. Schließlich stand das Auto endlich still, doch was würde nun auf sie zukommen? Sie wurde in ihrem Behälter in ein fremdes Haus getragen, eine Treppe hoch und in ein völlig unbekanntes Zimmer gestellt. Alles anders, alles bedrohlich. Die Tür des Behälters wurde geöffnet und „Jessy“ durfte sich orientieren. Nach einer Weile merkte sie, dass sie nicht allein war. Ein fremder Rammler war im gleichen Raum. Leider verhielt der sich nicht sehr nett, er schnappte nach „Jessy“ und jagte sie. „Jessy“ hatte bloß noch Angst, es war einfach zu viel. Sie versteckte sich. Sie traute sich nicht mehr hervor. Erst viel später merkte sie, dass der unfreundliche Hase fort war, statt dessen lief jetzt ein anderer herum. Aber sie war jetzt viel zu misstrauisch, um ihn noch kennen lernen zu wollen. Doch der Andere ließ nicht locker, kam immer wieder zu ihr und vielleicht war dieser doch nicht so feindlich gesinnt?
„Jessy“ wagte noch einen Versuch der Kontaktaufnahme und diesmal war es Liebe auf den ersten Blick. Seit dem ist  Tom ihr bester Freund, bis heute. Sie zogen noch am selben Tag in einen gemeinsamen Käfig.


Der andere Hase, Jonas, wohnte dagegen im Nebenzimmer. Von nun an lief das Leben gar nicht so übel. Es gab anständiges Futter und auch viel Auslauf. Irgendwann merkte „Jessy“, dass sie gar nicht mehr „Jessy“ hieß. Sie hatte nun einen sehr klangvollen Namen – „Zara“. Und so wollen wir sie von nun an auch nennen.

Zara war vom ersten Tag an ein recht nervöses Kaninchen, nicht besonders zutraulich, aber mit dem neuen Partner verstand sie sich gut. Dass es für ihr Verhalten einen guten Grund gab, zeigte sich am 13. Tag in ihrem neuen Zuhause. An diesem Morgen  war Zara sehr beschäftigt. Sie grub und scharrte in ihrem Käfig und rollte Heu und Brusthaare zu riesigen Kugeln. Schon wieder musste Zara ins Auto, das gefiel ihr leider gar nicht. Es ging in eine Tierarztpraxis, so weiß, Gerüche so scharf, nach Desinfektion, Medizin, auch Hund, einfach furchtbar. Und am Nachmittag dieses Tages änderte sich wieder viel. Zara bekam einen eigenen großen Käfig und darin ein kleines Holzhaus. Sofort machte sie sich daran, ein Nest hinein zu bauen. Ihr Freund Tom wohnte jetzt nebenan. Sie trafen sich beim Auslauf, sonst leider nur noch durch das Gitter. Doch das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch.

Am frühen Morgen des 11. Januar 2005 wurde Zara Mutter von fünf Kaninchenbabys. Alle schwarz und weiß, alle mit der weißen Pfote rechts. Zara war die beste Mutter der ganzen Welt! Sie kümmerte sich vorbildlich um ihre Kinder (auch wenn es die Menschen nervös macht, dass Kaninchenmütter nur einmal in 24 Stunden säugen und sich tagsüber vom Nest entfernen, um Feinde abzulenken.) Nach der Geburt änderte sich Zara übrigens grundlegend, sie wurde sehr zutraulich, ruhig und gelassen. Es war, als ob Stress und Unsicherheit von ihr abgefallen wären und sie zeigte uns, dass sie sich nun sicher und geborgen fühlte. Die Kleinen blieben 3 Wochen ungestört in ihrem Nest, raschelten und fiepten und zeigten damit, dass es ihnen gut ging. Dann krabbelten sie tollpatschig heraus und lösten Begeisterungsstürme bei ihrer Menschenfamilie aus. Kein Gedanke mehr, die jemals wieder hergeben zu können. Die Kleinen bekamen erst mal Bezeichnungen nach ihrem Aussehen damit man sie unterscheiden konnte  – Blessi, Pfötchen, Pünktchen, Sternchen und Brauni. Die beiden Männchen wurden selbstredend frühkastriert. Mit 12 Wochen wurden sie dann endgültig getauft und zwar auf Ben, Zorro, Leonie, Stella und Kira. Das war ein schönes Fest mit allen Kindern aus der Nachbarschaft. Mit viel Geduld und Sachverstand (dank fachlich fundierter Kaninchenforen im Internet) wurden die 5 Babys mit ihrem Stiefpapa Tom vergesellschaftet.

Wir traten die halbe Garage ab und dort entstand in 3wöchiger Arbeit ein schöner holzverkleideter Kaninchenstall. 9 qm Grundfläche, erweitert um verschiedene Ebenen in die Höhe, viele Schlupf- und Versteckmöglichkeiten. Mit festem Freigehege angegliedert. Am 20. März 2005 war es soweit – die Kaninchenfamilie zog um in das „Hasenhaus“, aber nicht allein. Der achte Hase*, anfangs war von ihm ja die Rede, der bisher allein im Nebenzimmer wohnen musste, kam mit. Wieder gelang die Vergesellschaftung dieser 8 Kaninchen zu einer Gruppe im Vertrauen auf ein instinktives Verhaltensmuster, das man erkennen und für sich nutzen kann, sofern man die wesentlichen Grundlagen kennt. Dank all den zahlreichen Internetforen!

Nun leben Zara, Tom, Ben, Zorro, Leonie, Stella, Kira und Jonas sehr zufrieden in ihrem Hasenhaus mit Freigehege.

Seitdem die Kleinen auch kapiert haben, wo ihr Revier ist und nicht mehr ständig ausbrechen, gibt es häufigen Freiauslauf im ganzen Garten. Zur Zeit voller Herbstlaub, das begeistert.

Alle sind gut befreundet, nur die beiden großen Rammler, Tom und Jonas, dulden sich lediglich. Aber es ist genug Platz für alle da, dass es zu keinen Aggressionen kommt!

Und weil dies keine erfundene Geschichte ist, laden wir jederzeit gerne die Frau G. vom Tierheim Augsburg wieder ein, um die Haltung zu besichtigen.

Zara
im Namen ihrer Menschenfamilie* / Herbst 2005
* Name und Anschrift sind dem Tierheim bekannt

Epilog: Zara und ihre Kinder wurden niemals getrennt. Sie lebten in der Gruppe mit Tom und Jonas viele glückliche Jahre. 2006 kamen zwei weitere junge Kaninchen, Lilo und Nano in die Gruppe, ein Mitleidskauf auf einem Kleintiermarkt.
2009 erschien das schwarze Kaninchen des Todes dreimal, Tom folgte ihm zuerst, kurz darauf ging Zara mit ihm. Die Schiefhalskrankheit bei Tom und unheilbarer Brustkrebs bei Zara waren der Grund. Im Herbst 2009 nahm das schwarze Kaninchen des Todes auch Jonas mit sich. Wegen Altersschwäche.

Prolog der hier am Ende steht: Der achte Hase
* „Der achte Hase“ hat seine eigene Geschichte. Eigentlich hat er alles ausgelöst. Er lebte 3 Jahre glücklich mit seinem Weibchen Gulla in einem Außenstall mit viel Freilauf. Als das Weibchen starb sollte er natürlich wieder Kaninchengesellschaft bekommen, nämlich den kleinen Tom, damals noch ein Baby von 6 Wochen und frisch vom Züchter.

Leider hatte Jonas das Pech, dass seine Menschenfamilie noch so unbedarft war und nicht wusste, wie man Kaninchen richtig vergesellschaftet. Bei den ersten Rangordnungskämpfen, die ganz normal sind, hatten seine Menschen zu früh aufgegeben.
So kam es, dass Jonas eine Zeit lang alleine leben musste, während der kleine Tom ein Weibchen in seinem Alter bekam. Das war die süße Lexa, die leider bereits den Tod in sich trug in Form eines unheilbaren Bauchnabelabszesses. Daran starb sie mit 5 Monaten und während der zweiten Operation ihres kurzen Lebens. Doch ihr Tod war nicht umsonst, er schuf den Platz für Zara und ihre Babys.
 Nachdem die Versuche, Jonas nacheinander mit Tom, Lexa und Zara zu vergesellschaften jeweils fehlschlugen und als dann die Babys geboren wurden, machte sich die Menschenfrau endlich auf den Weg ins Internet und holte sich die notwendigen Informationen in einschlägigen Foren. Und so klappte das dann auch – neutrales Revier, Verstecke schaffen ohne Sackgassen, Futter zur Ablenkung verteilen, Kämpfe zulassen, nur eingreifen wenn wirklich Blut fließt, und Nerven bewahren. Für Menschen schlimmer als für Kaninchen!

Um so schöner, wenn so eine Vergesellschaftung manchmal ohne jeden Kampf geht, wie im Fall von Zara und Tom. Das war Liebe auf den ersten Blick, aber die Regel ist das leider nicht.

Aller guten Dinge sind 8...   oder auch 10


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