Landidylle

 

Landidylle – und das Grauen unter der Oberfläche


Bayern.... ein verschlafenes kleines Dorf, ländliche Idylle, schöne Höfe entlang der Hauptstraße, eine kleine Kirche mit dickem Zwiebelturm, Glockenläuten, Kühe auf den Wiesen, freundliche Menschen, die Sonne scheint von einem wolkenlosen tiefblauen Himmel, bayerischer Hochsommer, die Stunde des Pan – Mittagsruh`.... hier ist die Welt noch in Ordnung.

Wirklich? Am Ortsausgang rechts liegt ein stolzes Anwesen. Geldschwere Bauern, seit Generationen mehrt sich das Eigentum, etliche Felder, Wiesen und Baugrund gehören der Familie. Auf einem Areal von mindestens 6000 Quadratmetern stehen einige Wohnhäuser, man lebt hier noch mit mehreren Generationen und in der Großfamilie beianand. Es gilt nur eine Regel: Wer zahlt schafft an. Landwirtschaft wird nicht mehr betrieben, ein Baugeschäft, Familienunternehmen, wirft jetzt die Gewinne ab und das nicht schlecht.

Das Anwesen ist sauber hergerichtet. Schließlich war erst Hochzeit. Die älteste Tochter kam unter die Haube. Da wurde der Rasen extra neu angelegt um die Gäste zu beeindrucken, Beete wurden hergerichtet, die Terrasse neu gepflastert und bepflanzt, alles herausgeputzt. Gerümpel wurde entsorgt oder verräumt. Verräumt wurde auch ein Hasenstall, so einer in der Art wie ihn die Bauern haben. Einzelboxen auf 1 Meter Höhe mit Gittertüren.

Geht man durch den parkähnlichen Garten, um das stattliche Haus herum und noch weiter hinter ein Nebengebäude, das demnächst abgerissen werden soll weil die zweite Tochter den Baugrund braucht, dann findet man ihn, den Hasenstall. Aus massivem Holz, ordentlich gebaut, wetterfest, eine Sonderanfertigung, steht er da. In einem Mauerwinkel der besonders viel Wärme speichert, sehr schön im Winter aber im Hochsommer? In einer Hitzephase die dem Land seit 7 Tagen täglich über 30 Grad beschert?

Die Bewohner des Hasenstalles, keine echten Hasen sondern natürlich Kaninchen, etwas größere Farbenzwerge, zwei Brüder aus einem Wurf, liegen flach. Sie atmen schnell, sind matt. Fressen kaum, wie das Mädchen, dem sie gehören, erzählt. Der linke, ein putziger netter Kerl, weiß mit brauner tupfiger Zeichnung an Nase, Augen und Ohren und einem schönen Rückenstrich, kommt trotz der Hitze noch neugierig an die geöffnete Gittertür, macht Männchen, schaut grübelnd nach unten ob er sich trauen soll zu springen, reckt das Köpfchen nach links um die Trennwand herum um einen Blick auf seinen Mitbewohner zu erhaschen. Der liegt flach in der hintersten Ecke, der Hitze ausgeliefert, mit hilfeflehendem Blick, man spürt die Not des Tieres nahezu körperlich. Das Mädchen erzählt dass der rechte so scheu sei, seit neuestem Fell verliert, viele kahle Stellen hat. Sie mag den linken viel lieber, der sei nett, den rechten findet sie eklig, er habe so nasse Beine.

Zufall oder Schicksal...? Die Menschenfrau, die wir bereits aus den Geschichten von Erste Opfer, Jessy Nr. 5068, dem Achten Hasen und Toni´s großem Sprung kennen, kommt auf diesen Hof. Sie wollte eigentlich nur ein Foto machen von den beiden Kaninchen denn sie hatte sich angeboten, sich um eine Vermittlung zu bemühen. Die Besitzerin, ein 23jähriges Mädchen, musste sich 2 Jahre zuvor unbedingt diese beiden Kaninchen anschaffen nachdem „Hasen“ gerade kurzfristig in Mode waren im Kreis ihrer Freundinnen. Kurz darauf wurden sie lästig. Und jetzt, nach 2 Jahren in denen es wirklich keinen Spaß machte die beiden jeden Tag zu versorgen, sollten sie dringend abgegeben werden. Egal wohin. Das Mädchen erzählte dass ihre beiden „Hasen“ sich anfangs gemocht, aber eines Tages so zerstritten hätten, dass der Stall in zwei Abteile getrennt werden musste. Die Menschenfrau wollte eigentlich nur dieses Foto für die Vermittlung machen, dem Mädchen erklären dass sich die beiden männlichen Kaninchen nach einer Kastration wieder vertragen könnten und warum eine Kastration viel bessere Voraussetzungen für eine Vermittlung in gute Hände schafft. Doch weder das Mädchen noch seine Eltern waren von der Notwendigkeit dieser Operation zu überzeugen und schon gar nicht von den Kosten von 90 Euro für zwei Tiere. So wie das Mädchen auch in diesen zwei Jahren nicht überzeugt werden konnte, ein Auslaufgehege anzubauen. Ihr Freund, der Erbauer des Hasenstalles, hatte das schon öfter angeboten zum Materialpreis von vielleicht 30 Euro. 30 Euro.... da reut das Geld. Kastrieren ... 90 Euro und vielleicht beide Kaninchen dann zusammen im Gehege halten... niemals. Da schreibt man sie doch lieber in einem Bauernblatt zum Verschenken aus.... ob sie dann als Lebendfutter für Schlangen enden oder auf einem anderen Hof für den Rest ihres Lebens wieder in eine Einzelbox gesteckt werden.... man würde es ja nie erfahren und nicht wissen ist schließlich keine Schand und keine Sünd.

Die Menschenfrau nahm das rechte Kaninchen aus dem Stall, achtete nicht auf die gutgemeinte Warnung des Mädchens, der sei so nass und eklig. Erschüttert starrte sie auf die Krallen des Tieres, die sich bereits im Kreis ringelten. Einen Haarausfall konnte sie nicht feststellen, wohl aber total verfilzte Beine und Seiten. Das Fell war so angeklebt dass es wie kahl wirkte. Aber kein Zeichen für Durchfall. Es war wohl einfach nur der Mangel an Hygiene. Das Stroh war nass und sah aus, wie Wochen nicht gemistet. Voll mit festgetretenem Kot. Die Mutter des Mädchens trat herzu und musste noch betonen, dass der rechte „Hase“ wirklich widerlich sei und welch eine blöde „Fotze“ dieser doch habe. Fotze heißt im Bayerischen soviel wie „Geschau“ – Gesicht. Die Menschenfrau schaute das Kaninchen an. Es war ein dunkelgrau-hellbraun-meliertes Kaninchen mit strubbeligem Fell und einem Schuss Löwenkopf. Ein netter Puschel zierte seine Stirn. Die Nase hatte einen entzückenden weißen leicht schiefen Fleck. Große braune Augen schauten traurig und müde.

Da die Menschenfrau und ihr Begleiter mit dem Motorrad gekommen waren mussten die Kaninchen zunächst zurück gelassen werden. Doch bevor sich die Käfigtür wieder schloss ging eine stumme Botschaft zwischen dem rechten Kaninchen und der Menschenfrau hin und her. Das Tier schaute sie an und sprach in Gedanken: „Hilf mir“. Die Menschenfrau schaute zurück und versprach in Gedanken: „Ich helfe dir“.

Am nächsten Tag kam sie wieder mit zwei Transportkörben auf den Hof und holte die beiden namenlosen nicht kastrierten Rammler ab. Der graumelierte Löwenkopf wurde auf Moritz getauft, der Schecke auf Max.

Zuhause richtete die Menschenfrau ein Notquartier ein. Sie bat die beiden Kaninchen um Verzeihung dass sie Ihnen nun nochmals 3 Tage Zimmerkäfig zumuten musste. Aber wenigstens ein sauberer Stall mit angenehmer Umgebungstemperatur. Danach stand bereits der Termin zur Kastration und die Vergesellschaftungsmethode „Gemeinsam aus der Narkose aufwachen“ würde angewendet. Die Menschenfrau ist selbst gespannt, ob das klappen wird.

Jetzt sitzen sie hier, die beiden Großen. Max ist unruhig und klopft ständig im Zimmerkäfig, weil er zu seinem Bruder will. Mit dem er aber nur kämpfen würde, unkastriert wie beide noch sind. Moritz ist ruhig, nimmt gerne Futter an und putzt sich. Die Menschenfrau ist überzeugt dass er von selbst wieder sauber wird, sobald er in einer sauberen Umgebung lebt. Die Krallen sind bei beiden bereits geschnitten. Jeden Tag werden sie munterer, auch Moritz. Sein Blick hat sich grundlegend geändert, ist neugierig und wach geworden. Beide sind sehr zutraulich und lassen sich sehr gerne streicheln. Sie spielen mit Tannenzapfen und Moritz versucht schon eine Ecke des Käfigs umzugraben.

Nach der Kastration am kommenden Dienstag wird es 6 Wochen Kastrationsquarantäne geben. Die beide allerdings zusammen verbringen dürfen. Sie bekommen ihren alten Stall nachgeliefert, der natürlich ordentlich gesäubert wird und die Trennwand entfernt. Und sie werden in Toni´s altem Gehege erst mal Zaun an Zaun mit den, dem Leser schon bekannten, Langohren Zorro, Lilo, Nano und Toni leben. Der Zaun wird erhöht damit auf keinen Fall eine Begegnung zwischen den Geschlechtern vor dem Ende der Kastrationsquarantäne stattfinden kann. Man kennt ja unsere Toni ;) Der bisherige Stall wird umfungiert vom Gefängnis zum Schutzraum, eine Leiter sorgt für eigenständigen Zu- bzw. Ausgang. Ein zweites Gehege außer Sicht- und Schnupperkontakt, das gibt der Garten leider nicht her. So muss es eben mit der Gehege-an-Gehege-Methode gehen.

Ob dann beide Brüder anschließend mit der vorhandenen Gruppe vergesellschaftet werden, dann aber mit vergrößertem Gehege, oder nur einer wird sich zeigen. Die frühere Besitzerin von Toni, die zwei Weibchen in einem Außengehege hält, könnte sich auch vorstellen einen oder beide zu nehmen.

Wie auch immer, die Zukunft hält für Max und Moritz auf jeden Fall Artgenossen und Freilauf bereit. Zwei die gerettet wurden..... macht das einen Unterschied? Ja, für diese beiden schon!

Bayern, im Juni 2014
Klarah z

Epilog 2015:
Die Vergesellschaftung von Max und Moritz nach der Kastration war lediglich eine Formsache. Von nun an waren beide Brüder ein Herz und eine Seele, sie kuschelten und putzten sich und wichen nicht mehr voneinander. Auf der Terrasse wurde ein provisivorisches Gehege aufgebaut für die Dauer der Kastrationsquarantäne. Die nassen verfilzten Beine von Moritz wurden ruckzuck wieder sauber ohne Behandlung, es wuchs herrliches gesundes Fell nach. Natürlich wuchsen beide "Hasen" der Menschenfrau derart ans Herz, dass kein Gedanke mehr war einen der Brüder jemals wieder herzugeben. Also wurden beide mit der bestehenden Gruppe Zorro, Lilo, Nano und Toni vergesellschaftet. Das Gehege konnte deutlich erweitert werden. Leider verstarben alle Althasen noch im Laufe des gleichen Jahres an Altersschwäche. Es blieben die drei Neuankömmlinge Toni, Max und Moritz die seitdem ein sehr harmonisches  Kaninchenleben als Dreiergruppe führen. Max ist der Chef, sie teilen sich ihre große Liebe Toni brüderlich und Toni hat zwei Traummänner an ihrer Seite. Die Gruppe ist klein genug dass es keinerlei Stress gibt. Die Rangordnung wird pseudomäßig gelegentlich nochmals klargestellt aber im Grunde sind sie ein zusammengeschweißtes Trio und gehen gemeinsam durch Dick und Dünn.

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