Losgelassen

Tom 1994


Von Einem der auszog sein Glück zu finden...
                             oder warum Loslassen manchmal
                                die eigentliche Liebe ist

Was hat ein schwarzes Stallkaninchen mit dem Hohelied der Liebe zu tun? Mit einer Liebe die nicht besitzen will? Tom war es, der losgelassen werden musste damit er sein Glück fand.

Bayern, neunziger Jahre, ein rabenschwarzes riesengroßes Stallkaninchen wartete im Tierheim Dachau auf bessere Zeiten. Wie der junge Mann dorthin geraten war ist nicht bekannt, es lässt sich aber leicht die typische Geschichte davon ableiten. Spontankauf auf einem Kleintiermarkt, vermutlich weil ein Kind drum bettelte ein süßes Häschen zu bekommen. Dann der Schock über den Riesenwuchs, so hatte man sich das aber nicht vorgestellt. Der passt ja kaum mehr in den Zimmerkäfig, mein Gott was machen wir? Ach... geben wir ihn doch ins Tierheim dafür gibt’s die Tierheime schließlich und außerdem finanzieren wir das sowieso schon über unsere Steuern.

Solcherart sich die Dinge zurecht rückend hat man dabei auch gar kein schlechtes Gewissen.

Über diesen Weg oder einen ganz ähnlichen landete Tom, der große Schwarze, eines Tages bei der Menschenfrau die diese Geschichten hier schreibt. Sie war ins Tierheim gekommen um für den verstorbenen und sehr betrauerten Riesenschecken Tim, der einst hinter einer Palette gerettet wurde, einen Nachfolger zu finden. So traf sie auf Tom, den Großen, der vom Tierheim bereits kastriert worden war. Er sollte den freigewordenen Platz von Tim nun erben. Doch es gab Probleme sobald der neue Mitbewohner im Hasenhaus daheim eintraf.

Tim hatte in einer Dreiergruppe mit den Zwergkaninchen Felix und Noriah gelebt, Geschwister. Sie bewohnten ein kleines Gartenhaus mit Tagesgehege. Felix ein braun-melierter freundlicher kastrierter Rammler und Noriah, eine weiß-graue Schönheit. Beide stammten auch aus dem Tierheim Dachau, aber einige Zeit zuvor.

Die Menschenfrau wusste es damals nicht besser und glaubte, den beiden Zwergen eine Freude zu machen mit einem Ersatz-Tim, schließlich passte die Größe, und nebenher könne sie auch noch ein Kaninchen aus dem Tierheim aufnehmen, perfekt dachte sie.

Falsch gedacht, denn schockiert beobachtete sie wie Felix und vor allem Noriah auf den Neuankömmling reagierten. Sie verhielten sich eigentlich nur wie normale Kaninchen die ihr Revier bedroht sehen, sie verteidigten es. Doch der Menschenfrau schien es völlig unverständlich wie hier die Fetzen flogen und was sich die kleinen Kaninchen da trauten indem sie den Großen angriffen. Der Schwarze war nicht aggressiv, er ließ sich jagen und versteckte sich. Auch das verstand die Menschenfrau nicht. War er nicht viel stärker und größer als die beiden? Sie hatte damals keinen Zugang zu den Infos über Vergesellschaftung , die heute über das Internet jeder googlen kann. Die einzige Hilfestellung bestand aus den GU-Hobby-Ratgebern „Kaninchen“, von denen es mehrere ähnliche Bücher gab. Stets wurden hübsche putzige Kaninchen darin gezeigt, die sich freundlich vor dem Hintergrund einer üppigen grünen Wiese beschnupperten. „Kontaktschnuppern“ sei das, belehrte der Ratgeber. Nichts bereitete den Leser auf wilde Knäuel aus Kaninchen vor, die sich am Boden drehten, wo das Fell flog und schlimmstenfalls Blut floss.

So begann der wochenlange verzweifelte dilettantische Versuch einer Vergesellschaftung im Revier einer Häsin. Er scheiterte. Tom wurde nur angegriffen und wurde zunehmend verstörter. Zu seinem Schutz stellte die Menschenfrau innerhalb des Hasenhauses einen Holzstall auf, 1,20 x 60 cm, in dem Tom untergebracht wurde. Durch Gitter getrennt. Dass so die Aggressionen erst recht gefördert werden.... heute weiß sie das. Damals wusste sie es nicht und hoffte so sehr, die Kaninchen würden sich durch das Gitter anfreunden. Leider geschah, wie nicht anders zu erwarten, das Gegenteil. Die Feindschaft verhärtete sich.

Nach etlichen Wochen kam der Tag an dem die Menschenfrau realisierte dass sie hier machtlos war, aufgeben musste. Dass Tom in dem dunklen Stall leben musste während die anderen beiden freien Zugang ins Gehege hatten, verkraftete sie nicht.

In dieser Situation griff sie zum Telefon und gab eine Anzeige auf..... Stallhase, männlich, kastriert, zu verschenken, nur in gute Hände mit Freilauf und Kaninchengesellschaft...erschien bald darauf in einer Ausgabe des „Amperboten“.

Immer wenn das Telefon klingelte geriet sie fast in Panik ob es eine Reaktion auf die Anzeige sei. Und dann kam ein Anruf, ein einziger nur, aber genau der richtige. „Hallo, Andrea F. hier, ich rufe wegen dem Hasen an......, meldete sich eine Frauenstimme.

Bei der Vorkontrolle des Platzes fand die Menschenfrau eine einzelne freundliche Häsin, relativ groß, irgendeine Mischung, schwarz-weiß meliert-gepunktet, die ein eigenes toll eingerichtetes Kaninchenzimmer bewohnte. Und eine sehr nette Besitzerin. Vertrauen war gegeben. So zog Tom aus dem engen Stall aus, vom Hasenhaus weg, weg von Felix und Noriah die mit ihm – wegen Menschenfehlern – nicht leben konnten. Die Menschenfrau ließ ihn los, blieb noch eine Zeit in Kontakt mit der neuen Besitzerin, erlebte mit wie er seine große Liebe fand in der Häsin und fortan in dem Kaninchenzimmer mit ihr zusammen lebte, frei und glücklich. Bis das schwarze Kaninchen des Todes eines Tages entschied, wen es zurerst rufen würde. Das hat sie nicht mehr erfahren, die Menschenfrau.

So unterscheidet sich die Geschichte von Tom, dem Großen, dem Schwarzen, von allen anderen Geschichten hier. Das erste und bis jetzt einzige Kaninchen das fortgegeben werden musste, damit es glücklich werden konnte. Manchmal ist Liebe eben loslassen.

Klarahz, aufgezeichnet im November 2016


Share by: