Weihnachten für Wegwerfhasen

Weihnachten für Wegwerfhasen

Berta durchlief die typischen Stationen eines "Kinderhasen", "Osterhäschens", "Einwegkaninchens"... ein Wegwerfspielzeug eben. Ein Kind, meist im Grundschulalter oder noch jünger, wünscht sich so ein süßes kleines Wollknäuel zum Spielen und bekommt es dann irgendwann zu Ostern oder zum Geburtstag. Nach der ersten Anfangsbegeisterung, als man noch jeden Tag Löwenzahn gepflückt und das Häschen bekuschelt hat, sitzt das Kaninchen dann im Zimmerkäfig oder draußen im Obi-Hasenstall. Mit viel Glück sogar zu zweit und mit noch mehr Glück hat der Stall ein Minigehege angegliedert. Auf den Rasen gestellt entsteht schon bald eine einzige Schlammpfütze, viel zu klein, ohne Struktur und ohne Sinn.

Da sitzt es dann, oder sitzen die zwei, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Jahre.... in praller Sonne, im eisigen Wind, im Regen.

So erging es Berta und einem namenlosen Geschwisterkaninchen nicht bekannten Geschlechtes. Ob es zwei Schwestern waren, ob der andere ein Bruder war, wie lange beide zusammen saßen, ob sie getrennt wurden bevor oder nachdem der andere gestorben war ist nicht bekannt, auch nicht das genaue Alter der Häsin kannten die Vorbesitzer. Das Geburtsjahr wird zwischen 2009 und 2011 angenommen.

Berta war ein wildfarbenes größeres Zwergkaninchen. Als sie im November 2015 endgültig weggegeben werden sollte weil das Kind, bei dem längst das Interesse erloschen, sich gar nicht mehr kümmerte und die Mutter endgültig genug von der lästigen Pflicht hatte, den "Hasen" weiter zu versorgen, wurde im Bekanntenkreis herumgefragt, nahezu gebettelt, dass jemand ihnen das Tier abnehmen möge. Und es fand sich eine Bekannte, dem Leser bereits bekannt als diejenige, bei der auch Toni gelandet war, 2,5 Jahre zuvor, Toni die als Überraschungsgeschenk getarnt einfach nur entsorgt wurde. Eine fast identische Geschichte. Und tausendfach werden solche Geschichten zu jeder Stunde in Deutschland geschrieben.

Bevor Berta den Platz wechselte musste sie dringend noch aufgehübscht werden. Damit es nicht allzu peinlich sei und auch nicht allzu offensichtlich, in welcher Verwahrlosung die Häsin gelebt hatte. Ihr Fell war verfilzt und ihr Hinterteil extrem verklebt, das Fell verkrustet, große Kotbrocken hingen darin. In aller Hektik wurde Berta durchgebürstet und auf diese Weise unsanft viel Fell entfernt. Ganz ließen sich die Spuren jahrelanger schlechter Pflege aber nicht tilgen. Das Fell blieb struppig und unter dem Schwanz hing ein großer festgebackener Kotbrocken, flach gedrückt, mit Ausmaßen von 3x5 cm. Der ging nicht ab, der ging mit an die neue Pflegestelle. Die neue Besitzerin hatte sich nicht wirklich ein drittes Kaninchen anschaffen wollen. Sie  hatte einen sehr großen Pferdehof zu bewirtschaften und war daneben noch berufstätig. Nur das Mitleid mit dem armen ungeliebten Tier bewog sie, das Kaninchen aufzunehmen. So konnte sie auch keine optimalen Bedingungen bieten, die neue Pflegestelle war bestenfalls ein schlechtes Provisorium. Berta bewohnte auf dem Pferdehof ab sofort die alte Stallbox von Toni. Das war eine Etage über 3 Boxen in einem der typischen Kaninchenställe, Boxen neben- und übereinander. Im Pferdestall mit wenig Tageslicht. Es gab parallel dazu ein Außengehege das von zwei Weibchen bewohnt wurde. Aber der angeblich männliche "Hase" konnte unkastriert nicht dazu gesetzt werden.

Berta gab sich hochaggressiv. Sie fiel jede Hand an die sich ihrer Käfigbox näherte. Egal ob mit Futter oder ohne. Sie knurrte, sprang die Hand an und biss nach Möglichkeit zu. Bald schon erwischte es ihre neue Besitzerin. Diese simste einer Freundin daraufhin, dass sie nun den "bösesten Hasen der Welt" beherbergen würde. Bei der Bezeichnung "böser Hase" gingen bei der Menschenfrau sofort alle Alarmglocken los. Böse hieß ja wohl hochgradig verhaltensgestört und ist immer haltungsbedingt. Sie fuhr sofort auf den Hof, es war der Nikolaustag 2015. Wie ein grauenvolles Déjá-vu nahm sie hinter dem Gitter der Stallbox, aus der sie erst im Jahr zuvor Toni heraus geholt hatte, wieder eine Bewegung wahr. Wieder musste ein Kaninchen sein Dasein in dieser engen, dunklen Kiste fristen. Und auch sonst wiederholten sich die Dinge nahezu identisch. Das Kaninchen sei männlich, sein Name Herbert, nicht kastriert, erklärte die Freundin. Darum dürfe er jetzt nicht zu den beiden Weibchen ins Gehege. "Herbert" müsse warten bis zum nächsten Urlaub seiner neuen Besitzerin, irgendwann im neuen Jahr. Dann wolle sie sich die Zeit nehmen "Herbert" kastrieren zu lassen. Anschließend könne er ins Gehege zu den Weibchen einziehen, 6 Wochen Kastrationsquarantäne in der Stallbox natürlich vorausgesetzt. Die Menschenfrau wurde sehr traurig. Die gleiche Erfahrung hatte sie mit Toni bereits gemacht. Toni die ebenfalls angeblich männlich war und warten musste, bis der Zeitpunkt günstig sei um kastriert und vergesellschaftet zu werden. Toni die darauf länger als 1 Jahr gewartet hatte, in der gleichen Stallbox. Allein. Toni die, wenn nicht die Menschenfrau sie übernommen hätte, noch heute möglicherweise dort drin warten würde. Denn der Zeitpunkt ist eigentlich nie günstig.

Das durfte sich mit "Herbert" nicht wiederholen! Das wollte die Menschenfrau um jeden Preis verhindern. Sie schlug vor "Herbert" sofort mitzunehmen zur Geschlechtsbestimmung und evtl. auch Kastration. Sie würde ihn wiederbringen nach 6 Wochen und ihm bis dahin eine möglichst gute Unterbringung sichern. Die Besitzerin stimmte recht erleichtert zu denn sie war nicht wirklich glücklich über den Aufwand, der da noch auf sie zugekommen wäre.

Die Menschenfrau zog sich Lederhandschuhe an und fing "Herbert" mithilfe eines Handtuches. Das Kaninchen griff an, fauchte, kratzte und biss. Es half ihm nichts, es wurde ins Handtuch gewickelt und hochgenommen. Sofort war es wie umgewandelt. Saß sehr ruhig und wehrte sich nicht. Ein kurzer Blick auf das Geschlecht zeigte ein weibliches Tier, doch die Menschenfrau wollte sichergehen und noch den Tierarzt hinzuziehen. Sie sah sofort auch den Kotballen. Das Kaninchen ließ sich willenlos tragen und tat keinen Mucks als es im Auto mitgenommen wurde. Eine Notstation wurde eingerichtet für wenige Tage. Der Kotballen wurde noch am ersten Abend aus dem Fell geschnitten. Der Tierarzt bestätigte das weibliche Geschlecht. Deswegen wurde von Herbert die letzte Silbe behalten und daraus der Name Berta kreiert. Mit der Tatsache dass es sich wieder mal um ein Weibchen handelte war auch diesmal, genau wie bei Toni im Jahr zuvor, die Vergesellschaftung mit der rein weiblichen Kaninchengruppe der Besitzerin ziemlich aussichtslos geworden, vor allem da kein neutrales Revier zur Verfügung stand. Was nun?

Wir erinnern uns an Toni, Max und Moritz, mittlerweile 3,5 Jahre alt, die im Außengehege der Menschenfrau jetzt nur noch als Dreiergruppe sehr harmonisch zusammenlebten.

Die Menschenfrau begann einen Wunsch zu hegen, sie würde so gerne Berta zu Weihnachten ein artgerechtes Leben schenken.

Es schien mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden. Man bräuchte ein neutrales Revier für Tage oder Wochen. Mitten im Winter müssten die Außenkaninchen ins Haus geholt werden, wie könnten sie dann wieder hinaus? Die Erinnerungen an sehr schwierige frühere Vergesellschaftungen mit schlimmen Beißereien und Verletzungen machten  der Menschenfrau angst. Obwohl sie auf Vernunftbasis wusste welche Fehler bei diesen früheren Vergesellschaftungen gemacht wurden und darum vermutlich all die Probleme entstanden waren. Obwohl sie sich mittlerweile viel besser informiert hatte über die Regeln, die bei der Vergesellschaftung eingehalten werden müssen, hatte sie richtige Panik davor es anzugehen.  

Doch der große Wunsch, Berta dieses außergewöhnliche Weihnachtsgeschenk zu machen, überwog alles. Sie fand einen Weg. Das Wetter spielte bei Plusgraden im Dezember erfreulicherweise mit und im Keller fand sich ein Raum, den man vorübergehend zweckentfremden konnte. Mit der Wäsche musste dafür etwas improvisiert werden. Weihnachten stand auch noch vor der Tür und der Advent ist selten eine wirklich staade Zeit, ganz im Gegenteil, doch die Menschenfrau gestand sich selbst keine Ausflüchte zu.

Sie wollte den Versuch der Vergesellschaftung wagen, zeitnah und konsequent. Nach der streng klassischen und detailgetreu umgesetzten Methode "neutrales Revier", dokumentiert auf Kaninchenwiese.de: Neutrales Revier schaffen, Rückzugsmöglichkeiten ohne Sackgassen, Futter querbeet verteilen, keinerlei Kontakt der Kaninchen vorher, alle Kaninchen zeitgleich hineinsetzen und dann nicht mehr trennen. Eingreifen nur bei Knäuelbildung. Ruhe und Nerven bewahren.

Als es soweit war rasten 4 Kaninchenherzen und 1 Menschenherz vor Angst und Aufregung. Wie würden Toni und Berta aufeinander reagieren? Was würde geschehen?

Um es gleich vorweg zu nehmen, wie im Bilderbuch lief diese Vergesellschaftung ab dank der präzisen Anleitung. Im Vertrauen auf ein instinktives Verhaltensmuster, das mit Hilfe dieser Methode gezielt genutzt wird. Anfangs schossen alle vier aufgeregt hin und her, jeder jagte jeden, es flog eine Menge Fell. Doch kam es nicht zum Äußersten, keine Knäuelbildung und keine ernsten Beißereien. Die dicken Lederhandschuhe, die die Menschenfrau sich bereit gelegt hatte um eingreifen zu können, brauchte sie nicht.

Stündlich verbesserte sich die Situation an der Kaninchenfront. Nach 2 Stunden wagte die Menschenfrau es den Raum mal kurz zu verlassen. Nach 6 Stunden ging es schon wesentlich entspannter zu, nach 10 Stunden konnte die Menschenfrau die Kaninchen für die Nacht sich selbst überlassen. Nach 5 Tagen war es vollbracht, die vier Langohren konnten ins Außenrevier umgesiedelt werden. Dort waren sicherheitshalber auch Veränderungen in der Einrichtung vorgenommen worden.  Die Umsiedelung klappte ebenfalls und am 6 Tag putzten sich auch schon die beiden Weibchen.

So erhielt Berta 8 Tage vor Weihnachten ihr besonderes Geschenk - ein artgerechtes Leben.

Bayern, im Dezember 2015
Klarah z

Share by: